Aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot resultiert grundsätzlich die Verpflichtung der Vergabestelle, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zur Verfügung zu stellen. Mitteilungsbedürftig sind insbesondere Bieterfragen, die zu einer Änderung der Vergabeunterlagen führen oder solche Antworten, die Auswirkungen auf die Kalkulation der Angebote haben. Das Absehen von der Übermittlung der Antworten an alle Bieter stellt die Ausnahme dar, die nur unter bestimmten Umständen angenommen werden kann. Eine ausschließlich private Beantwortung der Fragen des rügenden Bieters verletzt diesen in seinen Rechten, da es nicht auszuschließen ist, dass die anderen Bieter bei Erhalt dieser Informationen ihre Angebote so verändert hätten, dass sich dies zu Gunsten des rügenden Bieters ausgewirkt hätte. Eine ursprünglich eindeutige Leistungsbeschreibung kann durch widersprüchliche Antworten auf Bieterfragen nachträglich intransparent werden.
Sachverhalt
Der Ag. schrieb in einem offenen Verfahren Planungsleistungen für den Ersatzneubau von Brücken in zwei Losen aus. Nach Veröffentlichung wurden mit zwei Änderungsbekanntmachungen hinsichtlich des Beschaffungsgegenstandes u.a. die Eignungskriterien und die Zuschlagskriterien verändert. Alleiniges Zuschlagskriterium war nicht mehr der Preis, sondern nunmehr zu 70 % auch Leistungskriterien. Während der Angebotsphase stellten mehrere Bieter verschiedene relevante Fragen u.a. zu Eignungskriterien, Mindestpersonaleinsatz, Referenzanforderungen, Leistungsumfängen, Kosten und Kalkulation - darunter auch die Ast. mit insgesamt 29 Fragen - welche von dem Ag. größtenteils „mit privater Nachricht“ jeweils nur gegenüber dem Fragesteller beantwortet wurden. Dies rügte die Ast. und berief sich darauf, dass dadurch eine Ungleichbehandlung der Bieter vorgelegen habe, die sich auf die Kalkulationen ausgewirkt haben könnte. Nach erfolgloser Rüge stellte die Ast. einen Nachprüfungsantrag bei der VK Nordbayern.
Beschluss
Mit Erfolg! Die teilweise privaten Beantwortungen der Bieterfragen verletzten die Ast. in ihren Rechten. Zwar sei hinsichtlich der privaten Antworten auf Bieterfragen anderer Bieter keine Rechtsverletzung gegeben, allerdings hinsichtlich der privaten Antworten auf Bieterfragen der Ast. Denn es sei nicht auszuschließen, dass die anderen Bieter bei Erhalt dieser Informationen ihre Angebote so verändert hätten, dass sich dies zugunsten der Ast. ausgewirkt hätte.
Aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot resultiere grundsätzlich die Verpflichtung, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zur Verfügung zu stellen (OLG Saarbrücken, U. v. 18.05.2016, 1 Verg 1/16; VK Sachsen, B. v. 24.08.2016, 1/SVK/017-16; VK Bund, B. v. 27.01.2017, VK 2 - 131/16; VK Niedersachsen, B. v. 14.07.2020, VgK 13/2020).
Das Absehen von der Übermittlung der Antworten an die anderen Bieter stelle nach der Rechtsprechung die Ausnahme dar, die nur unter bestimmten Umständen angenommen werden könne: Das beträfe etwa generelle, auf allgemeinen Kenntnissen beruhende Auskünfte. Dies könne auch für Fragen gelten, deren Beantwortung sich in bloßen Wiederholungen von ohnehin bekannten und zweifelsfrei transparenten Vorgaben erschöpfen und die damit die Schwelle zur "Auskunft" oder zur "Zusatzinformation" nicht überschreiten, sondern die lediglich einem rein subjektiven, redundanten Informationsbedürfnis des Fragestellers entspringen. Eine Mitteilungspflicht werde auch dann nicht gesehen, wenn es sich nicht um zusätzliche Informationen handelt oder wenn die Fragen offensichtlich das individuelle Missverständnis eines Bieters betreffen, die allseitige Beantwortung der Frage Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verletzt oder die Identität des Bieters preisgeben würde.
Die Mitteilungspflicht beträfe zudem nur sachdienliche Auskünfte, also solche, die objektiv mit der Sache zu tun haben und Missverständnisse ausräumen oder Verständnisfragen zu den Vergabeunterlagen beantworten. Mitteilungsbedürftig seien damit insbesondere Bieterfragen, die zu einer Änderung der Vergabeunterlagen führen oder solche Antworten, die Auswirkungen auf die Kalkulation der Angebote haben.
Vorliegend habe eine vergaberechtliche Verpflichtung zur Übermittlung der der Ast. privat übermittelten Antworten auch an die anderen Bieter bestanden, da sie teilweise zusätzliche angebotsrelevante Informationen beinhalteten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Nichtübermittlung an andere Bieter vor dem Hintergrund des vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes die Ausnahme darstelle. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die Fragen und Antworten überwiegend Art und Umfang der Leistung bzw. die Kalkulation einzelner Bestandteile betroffen hätten. Es läge ein Verstoß gegen das Gebot der Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung nach § 121 Abs. 1 S. 1 GWB vor, da durch die „privaten Beantwortungen“ diesbezüglicher Bieterfragen die Leistungsbeschreibung nicht (mehr) eindeutig im Hinblick auf den Leistungsumfang gewesen sei.
Hinweise, die infolge von Bieterfragen und Rügen erteilt werden, könnten dazu führen, dass Vergabeunterlagen nachträglich intransparent werden (VK Bund, B. v. 01.02.2016, VK 1-122/15). Angesichts der vorliegend gegenüber der Ast. erteilten - der Leistungsbeschreibung insoweit entgegenstehenden Informationen zum Leistungsumfang – sei die Leistungsbeschreibung bei objektiver Betrachtung nicht mehr eindeutig. Dies gelte ungeachtet des Wortlauts der Leistungsbeschreibung, weil die Informationen auf die Bieterfragen hier konträr seien und die jeweiligen Aussagen sich nicht mehr in Einklang bringen ließen.
Die Ast. sei hierdurch auch in Ihren Rechten verletzt, da für sie damit insoweit unklar gewesen sei, wie zu kalkulieren war. Diese Unklarheit gehe zulasten des Ag. Für die Ast. sei insoweit eine Kalkulation unter diesen Umständen nicht zumutbar.
Praxistipp
Bieterfragen sind sowohl für Bieter als auch für Vergabestellen wichtige Instrumente bei Unklarheiten in den Vergabeunterlagen. Bei deren Beantwortung ist höchste Sorgfalt geboten. Relevante Bieterfragen müssen allen Bietern anonymisiert über die elektronische Vergabeplattform zur Verfügung gestellt werden. Eine selektive Beantwortung relevanter Fragen ist grundsätzlich unzulässig. Nur in Ausnahmefällen dürfen Fragen ausschließlich gegenüber dem Fragensteller beantwortet werden. Im Zweifel empfiehlt es sich, alle Bieterfragen gleichermaßen als relevant zu betrachten und bieteröffentlich zu beantworten.
VK Nordbayern, Beschluss vom 11.09.2024 - RMF-SG21-3194-9-18