Sachverhalt
Im Verhandlungsverfahren mit TN-Wettbewerb wurde eine Rahmenvereinbarung über Ingenieurleistungen, betreffend die baufachlichen Prüfungen bei Zuwendungen für Baumaßnahmen im Land Sachsen-Anhalt ausgeschrieben. Die Netto-Auftragssumme betrug 9,6 Mio. € und war in drei Lose aufgeteilt. Die Laufzeiten der Lose der Rahmenvereinbarung waren identisch und betrugen jeweils drei Jahre (01.02.2024 bis 31.07.2027). Es war eine Verlängerungsoption für ein Jahr vorgesehen.
In der Bekanntmachung war aufgeführt, dass sie den Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Wirtschaftsteilnehmern betraf. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Angebote waren auf ein oder mehrere Lose zugelassen, den Vergabeunterlagen war ein Entwurf der Rahmenvereinbarung beigefügt.
Es gingen zwei Teilnahmeanträge von der Antragstellerin (ASt) sowie der Beigeladenen (BG) ein. Beide Bewerber wurden vom Antragsgegner (AG) als geeignet angesehen und zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert.
In Bietergesprächen wurde den Teilnehmern jeweils mitgeteilt, dass es zu Interessenkonflikten kommen könne, weshalb die Rahmenvereinbarung um eine „Befangenheitsklausel“ ergänzt werden sollte. Der ASt wurde zudem mitgeteilt, dass keine Mindestabnahmemenge garantiert werden könne.
Die Teilnehmer beteiligten sich mit jeweils einem Hauptangebot für jedes Los. Die Angebote der BG waren dabei jeweils günstiger als die Angebote der ASt.
Im Vergabevermerk „Entscheidung über den Zuschlag“ (Formblatt 331 VHB-Bund) gab der AG an, den Zuschlag für sämtliche Lose jeweils sowohl auf das Hauptangebot der BG als auch auf das Hauptangebot der ASt erteilen zu wollen. Beide Bieter wurden unter Verwendung eines Formblattes darüber informiert, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf ihre Hauptangebote je Los zu erteilen. Aus dem Informationsschreiben ging nicht hervor, dass der Zuschlag auf beide Hauptangebote je Los erteilt werden sollte und in welchem Rangverhältnis die bezuschlagten Hauptangebote zueinanderstanden.
Der AG übersandte über die Vergabeplattform an beide Bieter gleichlautende Zuschlagsschreiben. Diesen waren, bezogen auf die Hauptangebote zu allen drei Losen, Anlagen beigefügt. Darunter war eine „finale Rahmenvereinbarung mit Änderungen zum Entwurf“, welche sich auf den Auftrag lediglich zu Los 1 bezog. Außerdem wurde der Gegenstand der Vereinbarung wie folgt geändert: Statt
„für Investitionsvorhaben, welche mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GW) sowie des Just Transition Fund (JTF) gefördert werden …“
lautete es dann:
„für Investitionsvorhaben, welche mit Mitteln des Landes gefördert werden …“
Weitere Änderungen betrafen Modalitäten der Abrechnung von Einzelaufträgen, Datenschutz und Prüfungsrechte des Landesrechnungshofes. Ein weitere zusätzliche Regelung betraf den Umgang mit Interessenkonflikten des Auftragnehmers.
Eine Information darüber, dass der Zuschlag jeweils auf zwei Hauptangebote unterschiedlicher Bieter erteilt wurde, enthielt auch das Zuschlagsschreiben nicht.
Auf Nachfrage der ASt erfolgte die Auskunft, die Rahmenvereinbarungen zu den Losen 2 und 3 seien ebenfalls entsprechend dem Muster abgeändert worden. Der AG übersandte zugleich einen Entwurf zu Anlage 2 der Rahmenvereinbarung. Diese betraf eine Checkliste über bestimmte Leistungen und enthielt eine Aufstellung von Leistungsphase mit zu erbringenden Teilleistungen.
Hierauf zeigte die ASt Gesprächs- und Klärungsbedarf an, woraufhin der AG die Anlage 2 in Bezug auf Abrechnungsmöglichkeit nach Stundensätzen modifizierte.
Weiter teilte der AG auf Nachfrage der ASt mit, dass der Zuschlag auf die Angebote mehrerer Bieter erteilt worden sei und die Auftragserteilung nach dem Kaskadenverfahren erfolgen solle. Gemeint war, dass Einzelaufträge an den Auftragnehmer mit dem preisgünstigsten Angebot erteilt werden sollen. Bei Vorliegen eines Interessenkonflikts oder fehlenden Kapazitäten des Erstplatzierten solle der Einzelauftrag an den weiteren Auftragnehmer erteilt werden.
Die BG unterzeichnete die Rahmenvereinbarungen für alle drei Lose.
Die ASt rügte den Abschluss der ggü. den Vergabeunterlagen modifizierten Rahmenvereinbarung als vergaberechtswidrige de facto-Vergabe. Die Zuschlagserteilung sei unwirksam, weil sie Änderungen enthalte.
Nach Gesprächen des AG mit der ASt zur Motivation des Abschlusses von Rahmenvereinbarungen mit jeweils zwei Auftragnehmern und der Erklärung des Funktionsprinzips der Verteilung der Einzelaufträge, half der AG den Rügen nicht ab.
Die ASt stellt daher einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt. Dieser wurde als unzulässig zurückgewiesen. Dagegen wandte sich die ASt mit der sofortigen Beschwerde an das OLG Naumburg. Die ASt begehrt u.a. die Aufhebung des Zuschlags, um Ihre Chance auf einen Zuschlag im zweiten Anlauf zu wahren.
Beschluss
Ohne Erfolg! Das OLG Naumburg stellte klar, dass der Zugang zum vergaberechtlichen Primärrechtsschutz grundsätzlich nur in einem schon begonnenen und noch laufenden Vergabeverfahren gewährt werde. Das Nachprüfungsverfahren diene der Wahrung der subjektiven Rechte eines Teilnehmers bzw. Interessenten am Auftrag auf Einhaltung der vergaberechtlichen Vorschriften. Rechtsverletzungen sollten im laufenden Verfahren beseitigt werden, um die endgültige Schädigung betroffener Interessen zu vermeiden.
Ein Nachprüfungsantrag nach Zuschlagserteilung sei statthaft, wenn die Feststellung der Unwirksamkeit der das Vergabeverfahren beendenden Maßnahme des öffentlichen Auftraggebers geltend gemacht wird. Die Vergabekammer habe zu Recht festgestellt, dass zwischen dem AG und der BG in jedem Los eine Rahmenvereinbarung wirksam geschlossen worden sei.
Zwar sei der Zuschlag zivilrechtlich nicht als vorbehaltlose Annahme der Angebote der BG zu verstehen. Vielmehr sei die modifizierte Annahme als Ablehnung des Angebots und als Unterbreitung eines neuen Angebotes zu bewerten. Die BG habe die geänderten Angebote angenommen. Der zivilrechtlich wirksame Abschluss der jeweiligen Rahmenvereinbarung habe zur Folge gehabt, dass das jeweilige Vergabeverfahren je Los beendet worden sei.
Zwar bestehe ein Interesse der ASt am Auftrag. Sie habe zwar das mit Modifikationen des AG versehene Angebot nicht angenommen, sich dabei aber gerade auf die Unzumutbarkeit der Annahme berufen. Der jeweilige ASt habe jedoch weiter dazulegen, dass ihm durch den behaupteten Vergabeverstoß ein Schaden entstanden sei. Die Zuschlagschancen des ASt seien vorliegend jedoch nicht beeinträchtigt worden, der gerügte Vergabeverstoß damit folgenlos geblieben.
Der modifizierte Zuschlag sei vorliegend nicht ausgeschlossen, da sich die Anpassungen im Rahmen des vorgegebenen Konzepts bewegen würden. Die Identität der ausgeschriebenen Leistung sei gewahrt worden. Unter Bezugnahme auf das einzige Zuschlagskriterium Preis habe die ASt ein schlechteres Angebot abgegeben als die BG. Sie habe bei Angebotsabgabe über identische Informationen wie die BG verfügt und kein preisgünstigeres Angebot abgeben können
Praxistipp
Eine Zuschlagserteilung mit Änderungen stellt eine Ablehnung des Angebotes des Bieters dar und führt nicht zum Vertragsschluss. Gleichwohl wird dem Bieter die Möglichkeit eingeräumt, den Vertragsschluss durch Zustimmung zu den geänderten Bedingungen herbeizuführen. Diese Vorgehensweise führt vermehrt zu Unsicherheiten über den Abschluss des Vergabeverfahrens und die Einleitung von Nachprüfungsverfahren. Notwendige Änderungen sollten daher im laufenden Verfahren kommuniziert, mit den Bietern abgestimmt und dokumentiert werden. Ist dies unter Beachtung der vergaberechtlichen Vorschriften nicht umsetzbar, sollte die Möglichkeit der Aufhebung des Vergabeverfahrens und die Neuausschreibung mit überarbeiteten Vergabeunterlagen geprüft werden.
OLG Naumburg, Beschluss vom 11.10.2024, Az.: 6 Verg 2/24