VK Bund: Preisprüfungen und Preisaufklärungen sind nachvollziehbar zu dokumentieren

 

Bieter sind in der Kalkulation ihrer Preise grundsätzlich frei und dürfen Unterkostenangebote abgeben. Der öffentliche Auftraggeber muss bei Unterkostenangeboten jedoch sorgfältig prüfen, ob eine einwandfreie Ausführung und Haftung für Gewährleistungsansprüche gesichert ist. Seine Erwägungen sind umfassend und nachvollziehbar zu dokumentieren.

 

Sachverhalt:
Die Antragsgegnerin (Ag.) schrieb im Offenen Verfahren den Abschluss eines Rahmenvertrages zur Vergabe von Gebäudereinigungsleistungen europaweit aus. Mit dem Angebot hatten die Bieter das Formblatt „Kalkulation des Stundenverrechnungssatzes über die Unterhaltsreinigung (werktags)“ vollständig vorzulegen. Die Antragstellerin (Ast.) gab ein Angebot ab. Mit Vorabinformationsschreiben gemäß § 134 GWB teilte die Ag. der Ast. mit, dass ihr Angebot auf Rang 4 liege und daher nicht berücksichtigt werden könne.

 

Die Ast. rügte die Angebotswertung und beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene (B.). Nach ihrer Auffassung sei die Kalkulation der Jahrespreise der vor ihr platzierten Bieter teilweise nachweislich nicht auf Grundlage der gesetzlichen Mindestbedingungen und des einschlägigen Rahmentarifvertrages erfolgt. Dies ergäbe sich aus der Zurückrechnung des Angebots der B.

 

Die Ag. forderte daraufhin die B. und die Ast. auf, zusätzliche Kalkulationsunterlagen sowie eine Stellungnahme zu einzelnen Punkten der Kalkulation vorzulegen. Bei den Bietern auf Rang 2 und 3 fand keine Aufklärung statt, jedenfalls war eine solche nicht dokumentiert.

 

Nach fristgemäßen Antworten der B. und Ast. wies die Ag. die Rüge zurück. Die B. habe eine Gesamtpunktzahl von 100 Prozentpunkten erreicht. Dies sei bei der Antragstellerin nicht der Fall. Der Stundenverrechnungssatz über die Unterhaltsreinigung des erfolgreichen Bieters, der B., sowie der Bieter auf Rang 2 und Rang 3 seien vollumfänglich auf die Einhaltung des Rahmentarifvertrags und des Lohntarifvertrags/Mindestlohntarifvertrags für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung sowie der Auskömmlichkeit geprüft und jeweils berücksichtigt worden. Es bleibe dabei, dass die Ast. lediglich auf Rang 4 platziert sei. Daraufhin stellte die Ast. einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes.

 

Beschluss:

Mit Erfolg! Der Nachprüfungsantrag war zulässig. Der Ast. drohe trotz ihrer derzeitigen Position 4 in der Bieterrangfolge im Hinblick auf die von ihr geltend gemachte fehlerhafte Wertung der Angebote sowohl der B. als auch der Bieter an Rangstelle 2 und 3 ein Schaden im Sinne des § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB. Nachdem in der Vergabeakte eine Aufklärung und nähere Prüfung der Angebote an Rangstelle 2 und 3 nicht vorgelegt wurde, sei es zumindest nicht auszuschließen, dass auch diese Angebote nicht zuschlagsfähig sind, so dass der Ast. der ihr drohende Schaden nicht bereits allein aufgrund ihres 4. Wertungs-Rangplatzes abgesprochen werden könne.

 

Der Nachprüfungsantrag war auch begründet. Die in der Vergabeakte befindliche Aufklärung und Prüfung der Angebote enthalte nicht alle Informationen, die notwendig seien, damit die Vergabekammer die nach erfolgter Aufklärung und Überprüfung der Kalkulation der Angebote der B. (und der Ast.) ergangene Zuschlagsentscheidung der Ag. nachvollziehen und im Ergebnis als vergaberechtsfehlerfrei beurteilen könne.

 

Der Auftraggeber sei verpflichtet, die Gründe für die Auswahlentscheidung nach Überprüfung der Kalkulation zu dokumentieren (§ 8 Abs. 1 S. 2 VgV, § 97 Abs. 1 GWB). Im Hinblick auf die Überprüfung der Kalkulation gelte nach der Rechtsprechung des BGH zwar, dass die Bieter in der Kalkulation ihrer Preise grundsätzlich frei seien. Es sei den Bietern auch nicht verwehrt, zu einem Gesamtpreis anzubieten, der lediglich einen Deckungsbeitrag zu den eigenen Fixkosten verspräche (Unterkostenangebote).

 

Der öffentliche Auftraggeber müsse bei solchen Angeboten allerdings sorgfältig prüfen, ob eine einwandfreie Ausführung und Haftung für Gewährleistungsansprüche gesichert sei (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 2018 – X ZR 100/16, Beschluss vom 31. Januar 2017 - X ZB 10/16). Er müsse seine für die abschließende Entscheidung maßgeblichen Erwägungen so dokumentieren, dass nachvollziehbar sei, wie die Überprüfung der Kalkulation vorgenommen wurde. Die Begründung müsse alle Informationen enthalten, die notwendig seien, um die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers nachvollziehen zu können (vgl. grundsätzlich OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 6/19, BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17).

 

Vorliegend habe die Ag. eine Aufklärung gemäß § 60 Abs. 1 VgV bei der B. und der Ast. durchgeführt. Eine Aufklärung der Kalkulation der Bieter 2 und 3 der Bieterreihenfolge sei jedoch ausweislich der vorliegenden Vergabeakten nicht erfolgt.

 

Die Aufklärungsantworten der Ast. und B. seien in der Akte handschriftlich (und überwiegend nicht lesbar) kommentiert worden. Es sei nicht erkennbar, wie die Ag. die Unterschiede in der Kalkulation der Bieter einordne. Auch sei nicht nachvollziehbar, welche Schlussfolgerungen die Ag. aus ihrer Überprüfung abgeleitet habe. Ein abschließender, zusammenfassender Vermerk, der sich ferner mit den ausführlichen Äußerungen der B. zu ihrer Kalkulation beschäftigt, sei nicht vorhanden.

 

Im Ergebnis bleibe unklar, ob die Ag. davon ausgegangen sei, dass es sich beim Angebot der B. nach der Aufklärung um ein auskömmliches Angebot handelt. Oder ob ein Unterkostenangebot vorliege und dieses zufriedenstellend oder nicht zufriedenstellend aufgeklärt wurde. Der Akte sei allein zu entnehmen, dass an der Zuschlagserteilung festgehalten werde.

 

Eine Nachvollziehbarkeit der Entscheidung sei im Nachprüfungsverfahren daher nicht möglich. Die Ag. habe daher - soweit ihre Beschaffungsabsicht fortbestehe - im Rahmen der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens die Prüfung nachzuholen und entsprechend zu dokumentieren sowie ihr Prüfungsergebnis und die darauf basierende Zuschlagsentscheidung in einer neuen Information nach § 134 GWB mitzuteilen.

 

 

Praxistipp:

Auch hier bewahrheitet sich wieder einmal die Regel „Wer schreibt, der bleibt“. Im Rahmen einer Auskömmlichkeitsprüfung sollten Vergabestellen ihre durchgeführte Preisaufklärung sowie die Einordnung und Bewertung der Aufklärungsergebnisse nachvollziehbar und umfassend im Vergabevermerk dokumentieren.

 

VK Bund, Beschluss vom 06.06.2023 - VK 1-39/2023

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