VK Bund: Inhaltlich mangelhafte Referenzen fehlen nicht und können nicht nachgefordert werden

 
 
  1. Der öffentliche Auftraggeber kann dazu auffordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen, die mit dem Angebot vorzulegen waren, nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren, es sei denn, er hat eine Nachforderung ganz oder teilweise ausgeschlossen.
  2. Die Möglichkeit einer Nachforderung scheidet aus, wenn ein Nachweis oder eine geforderte Erklärung nicht körperlich fehlen, sondern lediglich inhaltlich hinter dem Geforderten zurückbleiben.
  3. Unternehmensbezogene Unterlagen wie Referenzen "fehlen", wenn sie (körperlich) nicht im Angebot enthalten sind, nicht rechtzeitig vorgelegt wurden oder in formaler Hinsicht mangelhaft sind. 
  4. Bleiben eingereichte Referenzen hinter den Mindestanforderungen zurück, sind also nicht vergleichbar, stellt dies kein physisches Fehlen der Unterlagen dar, sondern einen inhaltlichen Mangel.
Sachverhalt:
Die Antragsgegnerin (Ag.) schrieb in einem EU-weiten offenen Verfahren Rohbauarbeiten im Rahmen einer Sanierung eines denkmalgeschützten Gebäudes aus. Zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit waren insgesamt drei Referenzen der letzten fünf Geschäftsjahre vorzulegen: Mindestens zwei Referenzprojekte zu fertiggestellten Neubauvorhaben, die mit der Bauaufgabe vergleichbar waren, sowie mindestens ein Referenzprojekt zu einem fertiggestellten Umbauobjekt als Erweiterungsneubau mit statischen Eingriffen in das vorhandene Bestandsgebäude.
Die Ag. legte in ihrer Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (FB 211) fest, dass fehlende Unterlagen, deren Vorlage mit dem Angebot gefordert war, teilweise nachgefordert werden würden, und zwar "alle geforderten Unterlagen bis auf FB 219 und FB 225a. Preisangaben".
Die Ast. gab ein Angebot ab, verwies in ihrem im Angebotsschreiben auf ihre Präqualifikation und legte dem Angebot acht zusätzliche Referenzen bei. Von den mit dem Angebot eingereichten Referenzen waren unstreitig lediglich zwei zum Nachweis der von der Ag. genannten Anforderungen geeignet.
Nach Durchführung der Submission forderte die Ag. die Ast. u.a. auf, ungeeignete Referenzen gegen geeignete auszutauschen. Der Ast. kam dem nach und reichte zudem unaufgefordert eine weitere Referenz ein. 
Die Ag. schloss das Angebot der Ast. wegen fehlender Eignung aus, weil die erfolgte Nachforderung der Referenzen "bedauerlicherweise vergaberechtswidrig" erfolgt sei. Anstatt der allenfalls möglichen Aufklärung der eingereichten Referenzen seien zunächst weitere, d.h. neue Referenzen nachgefordert worden. 
Nach erfolgloser Rüge stellte die Ast, einen Nachprüfungsantrag bei der VK Bund. Die nachgereichten Referenzen seien in die Wertung einzubeziehen. Sie habe darauf vertrauen dürfen, dass weitere Referenzen nachgefordert würden.
 
Beschluss:
Ohne Erfolg! Die Ag. habe die Ast. vergaberechtsfehlerfrei wegen fehlender Eignung ausgeschlossen, da sie die geforderten Eignungsnachweise nicht erbracht habe. Die Ag. habe statthafte Mindestanforderungen an den Nachweis der Eignung im Hinblick auf die technische und berufliche Leistungsfähigkeit festgelegt. Die von der Ast. mit dem Angebot vorgelegten Referenzen genügen nicht den bekannt gegebenen Anforderungen. Eine Berücksichtigung weiterer Referenzen der Ast., die sie im Laufe des Vergabeverfahrens nachgereicht habe, sei nicht statthaft. Auf einen Vertrauensschutz könne sie sich nicht berufen, auch wenn sie von der Vergabestelle vergaberechtswidrig zum Austausch von Referenzen aufgefordert worden sei. Die Ag. habe ausweislich der Vergabeakte keinen der übrigen Bieter zum Austausch von Referenzen aufgefordert.
Die Voraussetzungen für eine zulässige Nachforderung von Unterlagen ergäben sich aus § 16a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 EU VOB/A. Der öffentliche Auftraggeber könne danach unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung auffordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen, die mit dem Angebot vorzulegen waren, nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren, es sei denn, er hat von seinem Recht aus § 16a Abs. 3 EU VOB/A Gebrauch gemacht und eine Nachforderung ganz oder teilweise ausgeschlossen. 
Unternehmensbezogene Unterlagen wie Referenzen fehlten, wenn sie (körperlich) nicht im Angebot enthalten seien, nicht rechtzeitig vorgelegt worden oder in formaler Hinsicht mangelhaft seien. Vorliegend fehlten in quantitativer Hinsicht unstreitig keine Referenzen. Die Ast. habe durch Verweis auf ihre Präqualifikation sowie das Beifügen von zusätzlichen acht Referenzvorhaben mehr als die geforderten drei Referenzen eingereicht. Dass die Mindestanforderungen nicht von drei der eingereichten Referenzen erfüllt würden, sei ein inhaltlicher Mangel der Referenzen, stelle aber kein physisches Fehlen von Unterlagen dar. 
Auch komme keine Nachforderung im Sinne eines "Korrigierens" fehlerhafter Unterlagen in Betracht. Der Begriff des Korrigierens in § 16a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 EU VOB/A sei entsprechend der zugrundeliegenden europäischen Vergaberichtlinie 2014/24/EU eng auszulegen. Diese erlaube in Art. 56 Abs. 3 keine Korrektur einmal eingereichter, materiell unzureichender unternehmensbezogener Unterlagen. Die Vergaberichtlinie spräche nur davon, dass unvollständige, fehlerhafte oder nicht vorhandene Unterlagen übermittelt, ergänzt, erläutert oder vervollständigt werden können. Eine Korrektur einmal eingereichter, fehlerhafter Unterlagen sähe die Richtlinie nicht vor.
Im Rahmen der Nachforderungsregeln sei die zulässige nachträgliche Vorlage einer "fehlenden" Unterlage von dem Fall zu trennen, dass ein Bieter seinem Angebot zwar sämtliche geforderten Unterlagen physisch beigefügt hat, diese Unterlagen aber in materieller Hinsicht nicht die Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers erfüllen würden. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn zwar wie gefordert dem Angebot Referenzen beigefügt werden, diese aber nach der Prüfung durch den Auftraggeber dazu führen, dass der Bieter mangels entsprechender Fachkunde ungeeignet sei. Würde man dem Bieter das Nachreichen weiterer neu zu prüfenden Referenzen ermöglichen, käme dies einer inhaltlichen Nachbesserung seines Angebots gleich, die von Sinn und Zweck der Nachforderungs- und Nachreichungsmöglichkeit nicht gedeckt sei.
Nachbesserungen des Angebotsinhalts seien vergaberechtlich unzulässig, weil sie den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Transparenz widersprächen. Möglich sei damit nur die Behebung offensichtlicher Unrichtigkeiten, also das Korrigieren von Schreibfehlern, Übertragungsfehlern oder das Erläutern unklarer oder widersprüchlicher Angaben. Jede weitere Vorlage "passender" Referenzen stelle eine über eine zulässige Aufklärung des Angebots hinausgehende im offenen und nicht offenen Verfahren gemäß § 15 EU Abs. 3 VOB/A unzulässige Nachverhandlung zur Änderung des ursprünglichen Angebots dar. 
Die Möglichkeit einer Nachforderung scheide demnach aus, wenn ein Nachweis oder eine geforderte Erklärung nicht körperlich fehlen, sondern lediglich inhaltlich hinter dem Geforderten zurückbleiben würde. Eine Berücksichtigung der nachträglich eingereichten - ausgetauschten - Referenzen der Ast. sei daher nicht zulässig.
Entgegen der Auffassung der Ast. seien auch die Auftragsbekanntmachung und die Vergabeunterlagen im Hinblick, auf die Nachforderung von Unterlagen nicht anders zu verstehen. Unterlagen, die lediglich inhaltlich unzureichend seien, aber körperlich vorliegen würden, unterfielen nicht der Nachforderungsregelung der Ag. Die Aussage "Alle weiteren Unterlagen werden nachgefordert" beziehe sich nicht allgemein auf unzureichende Unterlagen, sondern deutlich nur auf fehlende Unterlagen. Eine Nachbesserung vorhandener Unterlagen sei nach der Auftragsbekanntmachung und den Vergabeunterlagen aus der Sicht eines durchschnittlichen Bieters nicht vorgesehen gewesen.
 
Praxistipp:
Dieser Fall zeigt einmal mehr, wie wichtig die sorgfältige Lektüre sämtlicher Vergabeunterlagen ist. 
Bieter sollten besonderes Augenmerk auf die geforderten Referenzen legen. Und präqualifizierte Unternehmen sollten nicht auf ihre Präqualifikation vertrauen, ohne vorher prüfen, ob die im PQ-Bau, AVPQ oder ULV hinterlegten Referenzen den im jeweiligen Verfahren geforderten Referenzen auch tatsächlich entsprechen. Sofern dies nicht der Fall ist, müssen zusätzlich die geforderten Referenzen eingereicht werden, weil ansonsten das Angebot von der Wertung ausgeschlossen werden muss.
Vergabestellen sollten zur Klarstellung für präqualifizierte Bieter einen vorsorglichen Hinweis in die Bekanntmachung/Vergabeunterlagen übernehmen, z.B.: "Bitte prüfen Sie bei einer Präqualifikation im eigenen Interesse, ob die dort hinterlegten Referenzen mit den in diesem Verfahren geforderten tatsächlich vergleichbar sind. Sofern dies nicht der Fall ist, reichen Sie bitte zusätzlich die geforderten Referenzen ein - ansonsten müsste Ihr Angebot ausgeschlossen werden."
 
VK Bund, Beschluss vom 23.07.2024 - VK 1-64/24

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