OLG Schleswig-Holstein: Handwerkskammer ist kein öffentlicher Auftraggeber

 
Sachverhalt:
Die Antragsgegnerin, eine Handwerkskammer, schrieb EU-weit im Offenen Verfahren Planungsleistungen für Baugrund und Wasserhaltung aus. Als geschätzter Auftragswert ist in der EU-Bekanntmachung 76.000 EUR ohne MwSt. angegeben. Dem Leistungsverzeichnis ist zu entnehmen, dass Probennahmen von Aushubböden nur von einen akkreditierten Probeentnehmer durchzuführen sind. Nach Abgabe des (preisgünstigsten) Angebots wurde die Antragstellerin gebeten einen geeigneten Nachweis zur Erfüllung dieser Voraussetzung zu erbringen. Die verlangte Akkreditierung konnte die Antragstellerin nach Auffassung der Antragsgegnerin jedoch nicht erbringen, weshalb sie die Antragstellerin im Verfahren nicht weiter berücksichtigt und ausgeschlossen hat. 
 
Gegen diesen Ausschluss wendete sich die Antragstellerin mittels Rüge und Nachprüfungsantrag. Die für das Nachprüfungsverfahren zuständige Vergabekammer Schleswig-Holstein lehnte eine Qualifikation der den Auftrag vergebenden Handwerkskammer als öffentliche Auftraggeberin nach § 99 GWB ab und verwarf den Nachprüfungsantrag wegen mangelnder Statthaftigkeit. Insbesondere sei die Antragsgegnerin (auch) keine öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 4 GWB. Jedenfalls hätte es für die Anwendung des projektbezogenen Auftraggeberbegriffs des § 99 Nr. 4 GWB zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt an einer 50 %igen Subventionierung des Gesamtvorhabens gefehlt. 
 
Die Antragstellerin trat dieser vorläufigen Bewertung der Vergabekammer entgegen und wendet sich mit ihrer Beschwerde an das OLG Schleswig. Sie stellte heraus, dass nach ihrer Kenntnis hinsichtlich der Finanzierungsabsicht der Antragsgegnerin die Subventionen 50% übersteigen würden. Nachdem das Oberlandesgericht eine Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde zurückgewiesen hat, vergab die Antragsgegnerin den Auftrag an die Beigeladene.
 
Beschluss:
Die Beschwerde blieb erfolglos! Der Nachprüfungsantrag gerichtet auf Zurückversetzung des Vergabeverfahrens ist unzulässig, da eine wirksame Bezuschlagung bereits erfolgte. Das OLG Schleswig schließt sich der Auffassung der VK an und verneint die Eigenschaft der Handwerkskammer als öffentlicher Auftraggeber sowohl nach § 99 Nr. 2 als auch nach § 99 Nr. 4 GWB. Es hat keine überwiegende staatliche Finanzierung oder mehrheitliche Organbesetzung vorgelegen (§ 99 Nr. 2 a GWB). Überdies fehlte es der Handwerkskammer an einer Leitung der Aufsicht im Sinne des § 99 Nr. 2 b GWB, da die Handwerkskammer lediglich einer Rechts- und keiner Fachaufsicht unterliegt. Maßgeblicher Zeitpunkt der Berechnung der überwiegenden Subventionierung ist der Zeitpunkt der Ausschreibung. Entscheidend ist, in welcher Höhe der Auftraggeber mit Fördermitteln bei der Gesamtkalkulation gerechnet hat. Der Anwendungsbereich des § 99 Nr. 4 GWB ist nur dann eröffnet, wenn der vergebenden Stelle zum Zeitpunkt der Ausschreibung mehr als 50 % der Projektkosten als Subventionen zur Verfügung gestellt werden. Davon konnte die Antragsgegnerin bei seiner Gesamtkalkulation im Zeitpunkt der Vergabemaßnahme jedoch nicht ausgehen.  
 
Praxistipp:
Bei einer Handwerkskammer bzw. allgemein bei einer Körperschaft/Anstalt des öffentlichen Rechts ist im Zuge der Beauftragung Dritter im Vorfeld zu prüfen, ob die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber gegeben ist. Eine solche kann sich aus § 99 Nr. 2 und Nr. 4 GWB ergeben. Diese Entscheidung muss stets zum Zeitpunkt der Ausschreibung erfolgen. Nachträgliche Änderungen der Finanzierungsmodalitäten finden keine Berücksichtigung. Ist die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber zu verneinen, ist es ratsam, Bieter ungeachtet des durchgeführten Vergabeverfahren darüber proaktiv zu informieren, um damit das Risiko der Einleitung von Nachprüfungsverfahren zu minimieren. 
 
OLG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 08.02.2024 (Az.: 54 Verg/23)

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