VK Bund: Gebot der losweisen Vergabe ist den die Gesamtvergabe begründenden Interessen gegenüberzustellen

 
Die von § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB geforderte „Erforderlichkeit“ bedeutet, dass diese Ausnahmevorschrift als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu verstehen ist.
 
Sachverhalt:
Der öffentliche Auftraggeber schreibt europaweit Straßenbauarbeiten zur grundhaften Erneuerung eines stark frequentierten, vierspurig befahrenen Streckenabschnitts von 7,8 km Länge aus. Er sieht von einer Fachlosbildung für die Arbeiten Verkehrssicherung, Markierung und passive Schutzeinrichtung ab. Bieter B, ein Anbieter von Weißmarkierungsarbeiten, greift die fehlende Losbildung vor der zuständigen Vergabekammer an.
 
Beschluss:
Im Ergebnis ohne Erfolg. Unstreitig existiert für Weißmarkierungsarbeiten ein eigener Anbietermarkt, sodass diese Leistung grundsätzlich als Fachlos auszuschreiben ist. Vorliegend unterliegt der auftragsgegenständliche Streckenabschnitt aber einem besonderen Beschleunigungsansatz des Auftraggebers. Dies ist auch entsprechend begründet worden: Eine Gesamtvergabe ist nötig, um eine erhöhte Unfallgefahr im Baustellenbereich, volkswirtschaftliche Nachteile infolge von Zeitverlust durch Stau, staubedingte Emissionen und durch erforderliche Umleitungen auf ein Minimum zu reduzieren. Diese Aspekte sind regelmäßig im Straßenbau relevant und können nicht allgemeingültig zur Begründung einer Gesamtvergabe dienen. Vorliegend setzt der Auftraggeber diese Aspekte aber in Bezug zu einem konkreten Streckenabschnitt, welcher besonders priorisiert wird. Eine Betrachtung des gegenständlichen Vergabeverfahrens im Kontext aller Vergabeverfahren bestätigt, dass der Auftraggeber eine Gesamtvergabe der Leistungen tatsächlich nur in Ausnahmefällen mit entsprechender Begründung anstrebt. Das gewählte Vergabedesign des AG ist ebenfalls geeignet und verhältnismäßig, sodass die Gesamtvergabe mit der vorliegenden Begründung nicht zu beanstanden ist.
 
Praxistipp:
Die Rechtfertigung einer gemeinsamen Vergabe von (Fach-)Losen bleibt aber eine Einzelfallentscheidung, der immer auch eine gewisse Rechtsunsicherheit immanent ist. Insbesondere wenn eindeutig ein eigener Anbietermarkt für Einzelleistungen existiert, besteht immer auch das Risiko, dass dieser die fehlende Losteilung angreift, um seine Marktposition bei öffentlichen Aufträgen zu sichern. Der streitgegenständliche Fall zeigt, dass die Begründung der gemeinsamen Vergabe von Losen aus einer Gesamtschau verschiedener Faktoren erwachsen kann. Die Begründung muss allerdings über die Eigeninteressen des AG hinausgehen. In jedem Fall ist die Entscheidung sorgfältig zu argumentieren und zu dokumentieren.
 
VK Bund, Beschluss vom 26.02.2024 (Az.: VK 2-13/24)

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