VK Bund: Ausschluss wegen vorheriger mangelhafter Vertragserfüllung gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB

 
Für einen Ausschluss wegen vorheriger mangelhafter Vertragserfüllung ist es nicht erforderlich, dass die aus der Vertragspflichtverletzung gezogene Rechtsfolge gerichtlich bestätigt wurde.
 
Sachverhalt:
Die Antragsgegnerin (Ag.) schrieb in einem EU-weiten offenen Verfahren die Technische Wärmedämmung bei einem Neubau aus. Die Antragstellerin (Ast.) gab fristgemäß ein Angebot ab.
 
Mit Schreiben vom 10.01.2024 teilte die Ag. der Ast. mit, dass sie beabsichtige, die Ast. gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vom Verfahren auszuschließen, da diese eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt und dies zu einer vorzeitigen Beendigung geführt habe. 
 
Die Ag. forderte die Ast. vor der Entscheidung über einen Ausschluss auf, zu nachfolgendem Sachverhalt Stellung zu nehmen. Die Ast. habe in einem vorherigen Bauprojekt den Zuschlag für die Technische Wärmedämmung erhalten, im Projektverlauf jedoch mehrfach die vereinbarten Leistungen (wie z.B. Besetzung Baustelle, Fernbleiben bei Jour-Fixen, Fernbleiben von Monteuren auf der Baustelle) nicht erfüllt. Dies habe zu Terminverzögerungen des gesamten Bauprojektes geführt. Nach mehrfachen fruchtlosen schriftlichen Aufforderungen der Ag. an die Ast., diese Fehlleistungen/ Nichtleistungen abzustellen und die vertraglich vereinbarten Arbeiten auszuführen, habe die Ag. den Vertrag am 13.04.2023 gekündigt und ein drittes Unternehmen mit einer Ersatzvornahme beauftragt. Dies habe die Ag. auch finanziell erheblich belastet. Für die Ag. sei die Eingehung einer erneuten Vertragsbeziehung daher nicht zumutbar, da die ordnungs- und vertragsgemäße Erbringung der nunmehr ausgeschriebenen Leistungen nachdrücklich in Frage stehe. Der Kündigung vom 13.04.2023 war bis zum 10.01.2024 von der Ast. nicht widersprochen worden.
 
Die Ast. nahm am 15.01.2024 Stellung und legte von ihr eingeleitete Selbstreinigungsmaßnahmen zur Reorganisation dar. So sei die seinerzeitige Bauleiterin aus dem operativen Geschäft ins Backoffice versetzt worden. Die Bauleitung und kaufmännische Projektabwicklung werde nunmehr durch andere Mitarbeiter mit langjähriger einschlägiger Erfahrung im Dämm- und Brandschutzbereich wahrgenommen. Auch seien weitere Bereiche umfangreich neu strukturiert worden. Die beschlossenen Maßnahmen sollen Ende 2024 durch einen externen Berater überprüft werden. Außerdem teilte die Ast. mit, dass sie sich verpflichte, der Ag. alle Schäden zu ersetzen, die sie im Projekt zu verantworten habe und bat um Zusendung einer Schadensaufstellung.
 
Mit Vorabinformationsschreiben gemäß § 134 GWB teilte die Ag. der Ast. am 16.01.2024 mit, dass diese gemäß  § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB i.V.m. § 6e Abs. 6 Nr. 7 VOB/A-EU ausgeschlossen werde. Der Zuschlag solle auf das Angebot der Beigeladenen (B.) erteilt werden. Die Ag.  führte dazu aus, dass die Stellungnahme der Ag. vom 15.01.2024 nicht geeignet gewesen sei, die vorhandenen ernsten Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit auszuräumen. Die getroffenen Selbstreinigungsmaßnahmen erachte die Ag. als unzureichend, da die damalige Bauleiterin zwar eine zentrale Rolle gehabt habe, jedoch nicht exklusiv für den negativen Projektverlauf, der letztendlich zur Kündigung geführt habe, verantwortlich gewesen sei. Andere Beteiligte auf der ausführenden, werkenden Seite fänden in den Ausführungen der Ast. keine Erwähnung. Zudem werde nicht auf die mangelnde Erreichbarkeit des Unternehmens als solchem sowie auf die grundlegende Einstellung zu vertraglich eingegangenen Pflichten nur unzureichend eingegangen. Die Ag. nähme zur Kenntnis, dass die Ast. technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen habe bzw. noch ergreifen werde, um zukünftiges Fehlverhalten zu vermeiden. Aus der Stellungnahme sei jedoch nicht abzuleiten, inwieweit diese Maßnahmen als ausreichend zu betrachten seien, dieses Ziel zu verwirklichen. Die Planung der Ast., die beschlossenen Maßnahmen Ende 2024 durch einen externen Berater überprüfen zu lassen, um deren Wirksamkeit attestiert zu bekommen, zeige, dass die Ast. sich selbst über den eingeschlagenen Weg bzw. den Erfolg noch nicht sicher sei. Die geschilderten Maßnahmen seien aus Sicht der Ag. somit gerade erst eingeleitet worden. Ob sie zur beabsichtigten Selbstreinigung geeignet seien, sei hingegen noch nicht abzusehen.  Die Eingehung einer erneuten Vertragsbeziehung sei der Ag. infolge der vorangegangen einschneidenden Erfahrungen mit der Ast. in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht derzeit nicht zumutbar.
 
Die Ast. rügte am 25.01.2024 den Ausschluss vom Vergabeverfahren und bewertete die Kündigung vom 13.04.2023 nach einer Prüfung nunmehr als unwirksam. Am selben Tag stellte sie einen Nachprüfungsantrag bei der VK Bund. 
 
Beschluss:
Ohne Erfolg! Der zulässige Nachprüfungsantrag war unbegründet. 
 
Nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB kann der öffentliche Auftraggeber - unter Berücksichtigung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.
 
Der Begriff der mangelhaften Erfüllung sei im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB nicht streng
zivilrechtlich zu interpretieren. Er sei vielmehr umfassend im Sinne einer nicht vertragsgerechten Erfüllung zu verstehen. Erfasst seien sowohl vertragliche Haupt- als auch Nebenpflichten. In Erwägungsgrund 101 der Vergabe-Richtlinie 2014/14/EU würden als Beispiel für eine mangelhafte Vertragserfüllung Lieferungs- oder Leistungsausfall oder erhebliche Defizite der gelieferten Waren oder Dienstleistungen, die sie für den beabsichtigten Zweck unbrauchbar machen, genannt. 
 
Vorliegend seien vertragliche Leistungen nicht oder mangelhaft ausgeführt worden, beispielhaft seien von der Ag. in ihrem Anhörungsschreiben vom 10.01.2024 genannt worden: die Besetzung der Baustelle, Fernbleiben von Jour-Fixen, Fernbleiben von Monteuren von der Baustelle. Die Ast. habe in ihrer Stellungnahme vom 15.01.2024 die „Umstände und vorgefallenen Situationen“ selbst ausdrücklich bedauert. Aufgrund des Vortrags der Ast. bestünde nach Ansicht der VK kein vernünftiger Zweifel daran, dass es aus Sicht der Ag. in dem betreffenden Vertragsverhältnis tatsächlich zu Pflichtverletzungen seitens der Ast. gekommen sei, welche die geschuldete vertragsgerechte Erfüllung in Frage gestellt hätten.
 
Die mangelhafte Erfüllung eines früheren Auftrags müsse zudem in einer erheblichen oder fortdauernden Vertragspflichtverletzung bestanden haben. Eine erhebliche Vertragspflichtverletzung liege dann vor, wenn die mangelhafte Leistung den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belaste. Dies sei hier der Fall, denn es sei durch die Verzögerungen im weiteren Gesamtbauablauf zu Belastungen in tatsächlicher Hinsicht und durch die aufgrund der Kündigung erforderlichen Kosten für die Ersatzvornahme in finanzieller Hinsicht gekommen. Diese könne als unstreitig unterstellt werden, da die Ast. dies durch die Ankündigung des unverzüglichen Ersatzes aller Schäden im streitigen Projekt zusätzlich bestätigt habe.
 
Die fortdauernde mangelhafte Erfüllung einer wesentlichen Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags habe vorliegend auch zu einer vorzeitigen Beendigung des Auftrags, Schadensersatz oder einer vergleichbaren Rechtsfolge gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB geführt. Als vergleichbare Rechtsfolge kämen Rücktritt, Ersatzvornahme nach erfolgloser Fristsetzung oder Minderung der Vergütung in Betracht. Eine vergleichbare Rechtsfolge sei neben der Ersatzvornahme auch das Verlangen nach umfangreichen Nachbesserungen. Nicht erforderlich sei, dass die Berechtigung der aus der Vertragspflichtverletzung gezogenen Rechtsfolge gerichtlich bestätigt wurde. So genüge es auch, dass der Bieter die vorzeitige Beendigung klaglos hingenommen habe.
 
Die Ag. habe den Auftrag nach mehrfacher Mahnung durch Kündigung beendet und im Anschluss eine Ersatzvornahme durchführen lassen. Damit lägen zwei Tatbestandsmerkmale der vorzeitigen Beendigung oder vergleichbaren Rechtsfolge vor. Es komme nicht darauf an, dass die Wirksamkeit der Kündigung von der Ast. erstmals mit Schreiben vom 25.01.2024 in Frage gestellt wurde. Denn die Kündigung sei nahezu ein dreiviertel Jahr von ihr nicht beanstandet worden ebenso wenig wie die erfolgte Ersatzvornahme. 
 
Auch bewege sich die Ausschlussentscheidung vorliegend im Rahmen des der Ag. zustehenden Ermessens unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Als Maßstab für die Ausschlussentscheidung sei von einem schwerwiegenden beruflichen Fehlverhalten auszugehen, das die Integrität des Wirtschaftsteilnehmers infrage stellen und dazu führen könne, dass es – auch wenn er ansonsten über die technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügen würde – als für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags ungeeignet betrachtet werde.
 
Praxistipp:
Es gelten vorstehende hohe Voraussetzungen für eine negative Prognoseentscheidung und einen Ausschluss eines Bieters wegen vorheriger Schlechtleistung. Eine Vertragskündigung in der Vergangenheit wegen Schlechtleistung ist nicht per se ein Ausschlussgrund. Wichtig ist, dass der Auftraggeber die seinerzeitigen Mängel nicht einfach so hingenommen, sondern konkrete Rechtsfolgen daraus gezogen hat - wie Kündigung, Schadensersatz oder eine vergleichbare Rechtsfolge. Und auch hier gilt wieder einmal: „Wer schreibt, der bleibt“. In der Vergabeakte ist umfassend zu dokumentieren, welche Vertragspflichten in welchem Umfang und mit welchen Folgen verletzt worden sind sowie welche rechtlichen Konsequenzen der Auftraggeber daraus gezogen hat. 
 
Bieter, die zu einem Ausschluss wegen vorheriger Schlechtleistung angehört werden, sollten auf durchgeführte Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB verweisen und detailliert darlegen, dass durch zwischenzeitlich durchgeführte Maßnahmen, wie z.B. Änderungen interner Betriebsabläufe und eingeführte Kontroll- und Qualitätssicherungsmaßnahmen, Pflichtverletzungen wie in der Vergangenheit nicht mehr vorkommen können und werden.
 

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